Meves von Sevelin

 

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 Lasse mein Knecht oder Herzog Meves von Sevelin

Es war einmal ein reicher mächtiger Herzog, der hieß Meves, und sein Herzogtum hieß Sevelin, und es lag weit entfernt im Süden. Der Herzog war ein junger und schöner Ritter, und weil er zudem auch sehr begierig nach Neuem war und große Lust an Abenteuern fand, übergab er bald das Herzogtum einem jüngeren Bruder zur Verwaltung und begab sich auf Reisen in fremde Länder. Wo er auch hinkam, trat er mit großer Pracht auf, und je weiter er sich von seiner Heimat entfernte, um so leichter wurde sein Geldbeutel. Mit dem Geld verschwand auch alle Pracht; bald wurde er von seinem letzten Diener verlassen, und am Ende musste er sein Pferd, die Rüstung und alles verkaufen, um einen Zehrpfennig für den langen Weg heim in sein Reich zu erhalten. Als er so von allem entblößt war, was früher sein Stolz gewesen war, und gezwungen, die Barmherzigkeit der Menschen anzurufen, kam er eines Abends müde und hungrig in einen großen Wald, und je weiter er ging, um so dichter und dunkler wurde der Wald. Als er schon nahe dabei war, aus Hunger und Durst zu verschmachten, fand er endlich eine einsame Hütte, die gar armselig anzusehen war. Dass dieser Anblick seinen betrübten Sinn erfreute, kann man wohl verstehen. »Sicherlich finde ich hier irgendeinen einfachen und hilfreichen Menschen, der sein bisschen Brot mit mir teilen will*, dachte er, und so trat er zuversichtlich ein. Aber drinnen war es dunkel, und nichts deutete darauf hin, dass die Hütte irgendwann seit langer Zeit bewohnt gewesen wäre. Er sammelte ein bisschen dürres Reisig, legte es auf den Herd und schlug Feuer, aber nicht einen Stuhl, nicht einen Tisch und noch viel weniger ein Bett konnte er entdecken. Das einzige Möbelstück, das sich hier fand, war eine alte Truhe, und weil er hoffte, er könnte darin etwas finden, seinen Hunger zu stillen, öffnete er das Schloss. Die Truhe enthielt eine zweite, etwas kleinere, und die wieder eine, und so weiter, bis zur Größe von Kästchen, und immer steckte eines im anderen und war kleiner als das vorige. Der Herzog fuhr doch fort mit seiner Suche, bis er zum innersten Kästchen kam, das war nicht größer als ein ganz gewöhnlicher Fingerhut. Er öffnete auch das und fand darin einen sorgfältig zusammengerollten, aber vom Alter vergilbten Pergamentstreifen, auf dem mit uralten Buchstaben die folgenden Worte geschrieben standen: »Lasse mein Knecht.« Nach so großer Beschwerlichkeit hatte er gehofft, im innersten Kästchen eine seltene Perle oder einen Edelstein zu finden, und nun war dieser Fetzen alles, was er für seine Mühe erhielt. Er war in seiner Erwartung betrogen und drehte ihn nach allen Seiten. Konnte wohl dieser Pergamentstreifen so kostbar sein, dass er so gut verwahrt werden musste? Er betrachtete ihn noch einmal und rief verzweifelt aus: »Lasse mein Knecht!« Aber kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als auch schon eine Stimme dicht hinter ihm antwortete: »Was befiehlt mein Herr?« Erstaunt wandte er sich um, und sieh da - ein kleiner einäugiger alter Mann in grauen Kleidern stand vor ihm und verbeugte sich. Er rief noch einmal: »Lasse mein Knecht!« Und der kleine Mann verbeugte sich noch tiefer als das erste Mal und antwortete: »Was befiehlt mein Herr?« »Ja«, sagte der Herzog, »wenn du Lasse mein Knecht bist und zu irgendwas imstande bist, dann besorge mir eine Mahlzeit, denn das habe ich jetzt am allernötigsten.« Lasse verbeugte sich und verschwand, und bald war das köstlichste Essen mit den feinsten und wohlschmeckendsten Gerichten und den kostbarsten Weinen aufgedeckt. Der Herzog war aufs äußerste überrascht und erfreut und setzte sich zu Tisch und tat den Speisen alle Ehre an. Als er seinen Hunger ganz gestillt und seinen Durst gelöscht hatte, rief er: »Lasse mein Knecht!« - »Was befiehlt mein Herr?« -»Ein gutes Bett, wenn du mir das beschaffen kannst -« und schon war es da. Durch diesen Beweis von Lasses Fähigkeiten wuchs des Herzogs Begehr nach anderen Bequemlichkeiten, die er so lange entbehrt hatte, und es ging so, wie das Sprichwort sagt: »Mehr will mehr haben.« »Was befiehlt mein Herr?« »Lasse mein Knecht!« -»Nachdem du mir schon so große Dienste erwiesen hast, so verwandle diese Hütte in ein großes Schloss, das prachtvollste, das sich ein Fürst wünschen kann« — und im Augenblick fand sich der Herzog im prächtigsten Schlafgemach, das er sich denken konnte, und die Hütte war verwandelt in ein großes Schloss mit hohen Türmen, goldenen Spitzen und allerlei Zierrat. Nun meinte der Herzog, dass er nach den Mühen des Tages ruhen könnte, und so begab er sich zu Bett.

Der König des Reiches, in dem sich das neue Schloss durch Lasses Zauberkraft aus dem Wald erhoben hatte, wohnte nicht weit entfernt, und aus dem Fenster seiner Burg entdeckte er am folgenden Morgen die Türme und die goldenen Wetterfahnen, die über die Baumwipfel hinwegschimmerten. Er rief nach seinen Hofleuten. - »Seht ihr dort das Schloss?« - Ja, das sahen sie alle. - »Wer ist der verwegene Kerl, der es wagt, ohne meine Erlaubnis eine solche Burg in meinem Reich zu bauen?« — Die Hofleute duckten sich, aber keiner wusste etwas hierüber zu erzählen, so gerne sie es auch getan hätten. - »Sendet sogleich einen Herold und dreihundert Ritter aus, sie sollen mir alles berichten.« — So geschah es. Der Herold und die dreihundert Ritter, in Silberharnische gekleidet und mit blinkenden Helmen, stiegen zu Pferd, und von seinem Fenster bemerkte der Herzog bald den glänzenden Zug. Er wurde unruhig und rief: »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« — »Einen Herold und sechshundert Ritter mit goldenen Brünnen und Helmen« - und sogleich waren sie vor der Burg aufgestellt. Als des Königs Ritter angelangt waren und der Herold ihre Botschaft verkündet hatte, antwortete der Herzog, er habe sich nicht in feindlicher Absicht in des Königs Land niedergelassen, sondern er wolle gern sein Untertan sein und treu und freundschaftlich zu ihm stehen und ihm in Rat und Tat helfen. Den Leuten des Königs schien das eine gute Antwort von einem so über alle Maßen mächtigen und reichen Herrn, und nachdem sie vom Herzog so gut aufgenommen worden waren, machten sie sich wieder auf den Rückweg zum König, um ihm die Botschaft zu überbringen. Ihnen folgten des Herzogs Herold und dreihundert Ritter, die im Namen des Herzogs den König zu einem großen Gastmahl in das neue Schloss einladen sollten. Der König wunderte sich sehr über all die Pracht, die des Herzogs Gefolge zeigte, noch mehr aber über das, was ihm seine eigenen Leute von den Herrlichkeiten des Schlosses schilderten. Er dankte für die Einladung und versprach, am nächsten Tag zu kommen. Mit dieser Antwort kamen der Herold und die Ritter zum Herzog zurück, und nun war nichts anderes zu tun als zu rufen: »Lasse mein Knecht!« - »Was befiehlt mein Herr?« - »Ich habe den König zu Gast geladen, und nun will ich, dass du ein Gastmahl ausrichtest, so prächtig, wie du es nur kannst.« - Und als der König mit seinem Hofstaat anlangte, da war schon das herrlichste Gastmahl bereitet, und wenn er auch sich selbst und sein Gefolge aufs prächtigste gekleidet hatte, so waren sie doch nur wenig besser als Bettler im Vergleich mit dem Herzog und seinen Leuten, die aus allen Nähten von Gold und Edelsteinen nur so leuchteten. Der König ward aufs allerbeste aufgenommen und verband sich mit dem Herzog in fester Freundschaft; danach kehrte er wieder zurück zu seinem eigenen Schloss und war sehr zufrieden mit seinem neuen Nachbarn.

Der König hatte eine einzige Tochter, so lieblich und schön, dass kein Mensch sagen konnte, wie schön sie eigentlich war, denn niemand hatte je ihresgleichen gesehen. Sie war aber nicht mit bei dem Gastmahl gewesen. Der Ruhm ihrer Schönheit war doch dem Herzog zu Ohren gekommen, und er empfand großes Verlangen nach ihr. Deshalb, als der König zu seinem Schloss zurückgekehrt war, rief der Herzog: »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« - »Ja, dass du sogleich die Prinzessin vom Königsschloss hier herbringst, aber nimm dich nur in acht, dass du sie nicht aufweckst.« Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, da wurde auch schon die Prinzessin schlafend auf sein Bett gelegt. Der Herzog betrachtete sie genau, und als er sah, dass man sie nicht zu Unrecht rühmte, sondern dass sie das allerschönste Mädchen war, das er jemals erblickt hatte, so weit er auch in der Welt umhergezogen war, da entzündete sich in seinem Herzen das höchste Verlangen, sie zu besitzen. Und was waren wohl alle seine Herrlichkeiten wert, wenn er nicht eine edle Gemahlin hatte, die sich mit ihm darüber freuen konnte. Er drückte einen glühenden Kuss auf ihre Lippen. »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« - »Ja, dass du sogleich die Prinzessin in ihr Gemach im Schloss zurückbringst, und nimm dich nur in acht, dass du sie nicht aufweckst.« - So geschah es auch.

Als der König am Morgen, wie es seine Gewohnheit war, seine Tochter hoch oben in ihrem Gemach besuchte und ihr des Herzogs Schloss beschrieb und all die Pracht und Herrlichkeit, die er da erblickt hatte, sagte die Prinzessin: »Alles, was Ihr nun erzählt, ist wahr, denn ich habe es selber im Traum heute nacht gesehen, und mir schien, dass der Herzog der stolzeste und schönste Ritter war, den ich jemals gesehen habe, und auch, dass er einen glühenden Kuss auf meine Lippen drückte« - das fügte sie hinzu und wurde rot dabei. -»Ja, und es kommt mir auch gerade so vor, als ob das kein Traum gewesen wäre, und ich fühle es in meinem Herzen, dass ich ihn und keinen anderen zu meinem Herrn und Gemahl haben will.« - Dem König gefiel es nicht sonderlich gut, was die Prinzessin da sprach, denn er hatte sie einem mächtigen Königssohn in einem Nachbarreich verlobt. Aber es war nicht die rechte Zeit, nun darüber zu sprechen, denn er hatte ja den Herzog zu Gast geladen, und das Schmettern des Horns verkündete schon seine Ankunft. Der König nahm den Herzog mit großen Ehren auf, und als er den stolzen Ritter so sah und an die Worte seiner Tochter dachte, da schien er ihm doch der prächtigste Schwiegersohn, den er sich wünschen konnte. An der Tafel erhielt der Herzog seinen Platz neben der Prinzessin, und überall unter den Hofleuten hörte man es raunen, dass man nirgendwo sonst ein schöneres Paar sehen könnte. Hübsche Worte und sanfte Augen bauen der Liebe bald eine Wohnstatt, sagt das Sprichwort, und so ging's auch hier; und als der König sah, wie jeder seinen Sinn ganz dem anderen zuwandte, da vergaß er bald sein Versprechen an den Sohn des Nachbarkönigs. Als ihn der Herzog später voller Liebe um die Hand der Prinzessin bat und der König auch den Wunsch seiner Tochter vernahm, da bekam der Herzog des Königs Jawort, und die Hochzeit wurde wenig später gefeiert mit aller nur möglichen Pracht und Herrlichkeit.

Als ein Jahr zu Ende gegangen war, gebar die Prinzessin dem Herzog einen Sohn, und jetzt herrschte Freude im ganzen Königreich, und das kann man wohl verstehen, denn der junge Prinz sollte ja dereinst das Königreich nach seinem Großvater erben. Alle Könige und Fürsten, Königinnen und Prinzessinnen weit im Umkreis wurden zu Gevatter gebeten, und der Herzog gab ein Gastmahl, dass keiner, der daran teilnahm, sich erinnern konnte, auch nur im Traum etwas Ähnliches gesehen zu haben. Der Herzog fühlte sich über alle Maßen glücklich, und als die Gäste nach drei Tagen wieder abgereist waren, meinte er, es wäre nun an der Zeit, auch den zu belohnen, der ihm aus Armut und Not zu solcher Herrlichkeit und solchem Glück verholten hatte. Deshalb rief er: »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« -»Ja«, sagte der Herzog, »jetzt hast du mir zwei ganze Jahre treu gedient, hast mir Ehre und Glück gebracht und hast mir an Gut und Schätzen viel mehr gegeben, als irgendein anderer Fürst in der ganzen Welt besitzen kann. Wie soll ich dir das vergelten?« Lasse verbeugte sich bis zur Erde und dankte dem Herzog für sein Wohlwollen. - »An Gut und Geld habe ich viel mehr, als ich verlange«, sagte er, »und solches Ansehen und Glück, wie ich es anderen schenken kann, könnt Ihr, gnädiger Herr, mir nicht geben. Es ist deshalb nur meine demütige Bitte, dass Ihr mir Urlaub aus Eurem Dienst gewährt und den kleinen Zettel zurückgebt, der in dem kleinsten Kästchen in der großen Truhe verwahrt war, die Ihr damals vor zwei Jahren in der verfallenen alten Bude im Wald gefunden habt.« Der Herzog trug das Pergamentstück ständig bei sich, und da ihm Lasses Wunsch nur billig erschien, gab er ihm Urlaub und versprach ihm, das Kästchen auf den Tisch zu legen, sobald er zur Ruhe ging, und so mochte es Lasse selbst nehmen. Damit schieden sie.

Als am Morgen danach der König erwachte und, wie es seine Gewohnheit war, über den Wald hinwegschaute, um die hohen Türme mit den goldenen Wetterfahnen auf des Herzogs Schloss zu sehen und seiner Tochter herzliche Morgengrüße zu senden, da konnte er es nicht mehr finden, so sehr er auch seine Augen anstrengte. Das Schloss war verschwunden. Entsetzt rief er nach seinen Hofleuten. - »Seht ihr nicht die Zinnen und Türme auf des Herzogs Schloss zwischen den Bäumen dort in der Ferne?« - Die Hofleute beugten sich vor und sperrten ihre Augen viel weiter auf, als es nötig war, aber nein, sie mussten zugeben, dass sie das Schloss nicht entdecken konnten. - »Zu Pferd!« ruft der König, und an der Spitze seiner Leute eilt er spornstreichs zu der Stelle, um zu erfahren, welches Unglück sein Kind getroffen haben mochte; aber von dem Schloss mit seinen stolzen Türmen, hohen Mauern und prachtvollen Gärten fand sich keine Spur mehr. An seiner Stelle stand nur eine alte Hütte. Der König selbst ging da hinein, und auf einem armseligen Lager aus Reisig findet er seinen Schwiegersohn, seine Tochter und seinen Enkel in tiefstem Schlaf versunken. Der König ist bei diesem Anblick außer sich vor Zorn, weckt den Herzog und befiehlt, ihn in Fesseln zu legen. Da ruft der Herzog: »Lasse mein Knecht!« Aber der antwortet nun nicht mehr: »Was befiehlt mein Herr?« Lasse ist verschwunden und mit ihm alle Herrlichkeit. Vergeblich versucht der Herzog, dem König die Ursache seines Unglücks zu erklären, und vergeblich bittet seine Gemahlin für ihn. Der König lässt sich nicht bewegen, und wie ein Dieb und Betrüger soll der Herzog am Galgen sterben und hoch über allen anderen Dieben hängen. Alle Tränen, alles Bitten können das Urteil nicht mildern, und schon am gleichen Tag soll es in des Königs Anwesenheit vollstreckt werden. Und so geschah es auch; der Scharfrichter aber hatte Gold von der Prinzessin erhalten und legte die Schlinge so, dass der Herzog nicht von ihr getötet wurde, und er hatte versprochen, ihn bei Anbruch der Nacht abzuschneiden und sodann ihm und der Prinzessin zur Flucht zu verhelfen. Aber gehängt wurde der Herzog inzwischen doch, und das angesichts des Königs, und die Stunden, die er am Galgen zubringen musste, wurden ihm lang genug. Als es gegen Abend zu dämmern anfing, sah er zwölf doppelspännige Wagen am Galgen vorbeifahren, die waren alle mit abgetragenen Schuhen beladen, und wer anders fuhr den vordersten Wagen als Lasse mein Knecht. Als der bis dicht an den Galgen herangekommen war, kletterte er ganz oben hin auf seinen hohen Wagen, damit er seinen ehemaligen Herrn nur recht betrachten konnte, und als er ihn so eine Weile angesehen hatte, sagte er: »Ja, ja! Da hängst du nun, und ich bin frei, auch wenn ich alle diese Schuhe zerreißen musste, um deine Launen zu befriedigen! Bedankt seiset du für den Zettel, aber jetzt würdest du wohl wünschen, ihn wieder in deiner Hand zu haben. Ich möchte nur wissen, ob du auch jetzt noch lesen kannst, was da steht«, setzte er hinzu und hob den wunderbaren Pergamentstreifen empor. Der Herzog war nicht faul und packte ihn, und wenn er auch matt und schwach war, konnte er doch die Worte flüstern:

»Lasse mein Knecht!«

Und weil der Zettel in seiner Hand war, war Lasse wieder sein gehorsamer Diener. - »Was befiehlt mein Herr?« - »Dass du mich sogleich vom Galgen herabschneidest!« - Und so geschah es auch. »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« - »Dass du mir mein Schloss zurückbringst, so wie es gestern war«, und sogleich stand das Schloss wieder an seiner Stelle. »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« - »Dass du mir meine Gemahlin und meinen Sohn hier herbringst«, und sogleich standen sie zu ihrer aller Freude an seiner Seite, und Schloss und Türme und Ritter und Hofleute - alles war so wie vorher.

Am Morgen danach, als der König erwachte und aus dem Fenster schaute und darüber seufzte, dass das Schloss nun verschwunden war, da schienen sich die hohen Türme wieder über die Wipfel des Waldes zu erheben, und die goldenen Spitzen mit ihren Wetterfahnen glänzten so schön in der Morgensonne. Er rief nach seinen Hofleuten. - »Seht ihr die hohen Türme und die goldenen Spitzen da weit draußen über dem Wald?« - Die Hofleute beugten sich vor: ja, das sahen sie alle. Der König eilte zu seiner Tochter, um ihr die frohe Neuigkeit mitzuteilen, aber sie war verschwunden und der kleine Prinz auch. Er schaute in die Richtung, wo der Galgen aufgerichtet war: der stand noch, aber niemand hing daran. Er war verwirrt von dem, was er nun gesehen hatte und von der Erinnerung an die betrüblichen Geschehnisse des vergangenen Tages, und so stieg er zu Pferd und ritt an der Spitze seiner Ritter zum Schloss im Wald. Das stand dort ebenso herrlich wie vorher mit seinen festen Mauern, hohen Türmen und prachtvollen Gärten, und gleich vor der Burg hießen ihn der Herzog und seine Gemahlin willkommen, und sie hielt den kleinen Prinzen auf dem Arm, und sie waren umgeben von Rittern und Hofleuten. Da war seine Freude groß, das kann man sich denken, und was am vorigen Tage geschehen war, kam ihm nur wie ein böser Traum vor, den er nicht verstehen konnte und der ihn unentwegt quälte. »War ich nicht gestern früh am Morgen hier?« fragte er endlich seinen Schwiegersohn. »Und fand ich da nicht eine elende Hütte anstelle dieses prächtigen Schlosses?« - Ja, das war freilich so, und der Herzog konnte es nicht leugnen. - »Fand ich nicht dich, meine Tochter und meinen Enkel auf dem armseligsten Reisiglager schlafend in jener Hütte?« - Ja! Der Herzog bejahte auch das. - »Und habe ich dich nicht am Ende am höchsten Galgen aufhängen lassen, den man in meinem ganzen Reiche finden kann?« - »Ja gewiss!« - Auch dies war wirklich geschehen, und der Herzog erzählte nun dem König, wie alles zugegangen war, welch bösen Streich ihm sein Diener Lasse gespielt hatte und wie er diesen Wundertäter wieder in seine Gewalt bekommen hatte. Der König schlug vor, man solle Lasse aufhängen, aber das wollte der Herzog doch um nichts in der Welt zugeben, denn das hieße nur, Übles mit zweimal Schlechterem vergelten, meinte er. Die Freude über den glücklichen Ausgang des Schelmenstreiches, den der wunderbare Diener angezettelt hatte, brachte den König zum Nachgeben, und was noch gestern geschehen war, war bald vergessen.

Indessen gab es doch einen, der diesen Tag niemals vergessen konnte, und das war der Herzog. An diesem einen Tag hatte er mehr gelernt als in seinem ganzen Leben vorher, denn er wusste jetzt, >Selbst ist der beste Knecht<, und ohne eigene Umsicht ist kein dauerhaftes Glück möglich. Der Gedanke an die zwölf Wagen voll zerrissener Schuhe, die er vom Galgen gesehen hatte, bestärkten ihn noch in seinem Entschluss, niemals wieder den wunderbaren Diener in Anspruch zu nehmen. Da er sich mehr und mehr daran gewöhnte, selbst zu denken und mit Klugheit und Kraft zu handeln, bedurfte er dessen auch nicht mehr; und bald hieß es bei jedermann, dass der Herzog nicht nur der stolzeste und mächtigste, sondern auch der klügste Ritter sei, von dem irgend jemand in allen Ländern weit ringsum zu erzählen wusste.

Lasse war aber immer noch des Herzogs unsichtbarer Diener, wenn er seine Dienste auch nicht mehr in Anspruch nahm, und weil der Herzog wünschte, mit ihm quitt zu werden, rief er ihn vor sich: »Lasse mein Knecht!« -»Was befiehlt mein Herr?« - »Ja«, sagte der Herzog, »jetzt hast du mir sieben gute Jahre gedient, hast mir Ehre und Glück, Weisheit und Kraft gegeben - sag mir nun, wie ich es dir vergelten soll.« - Lasse verbeugte sich bis zur Erde und bat um Urlaub. - »Ja«, sagte der Herzog, »den will ich dir geben, aber das kleine Kästchen da mit dem alten Pergament darin, das bekommst du niemals zurück.« - Lasse bat so sehr darum, aber der Herzog ließ sich nicht bewegen, und darüber braucht man sich wohl kaum zu wundern. Lasse behauptete, der Herzog bedürfe seines Dienstes nicht mehr, und er könne sein Glück auch nicht mehr erschüttern. »Wer so mit Umsicht und Klugheit handelt«, sagte er, »ist selber seines Glückes Schmied, und über den, der so lange ohne meine Hilfe ausgekommen ist, habe ich keine Macht mehr, ihm zu schaden. Aber da Ihr mir, gnädiger Herr, das Pergament nicht zurückgeben wollt, will ich Euch nicht mehr darum bitten, wenn Ihr mir nur versprecht, es in seinem kleinen Kästchen sieben Ellen unter einem Stein, der fest in der Erde ruht, zu verbergen und keinem einzigen zu verraten, wo Ihr es verwahrt habt. Sonst« -fügte er hinzu - »bekomme ich niemals Ruhe, denn in wessen Hand sich der Zettel befindet, dessen Diener muss ich sein bis zum Jüngsten Tag.« - Der Herzog versprach, alles so zu machen, wie er es erbeten hatte, dankte ihm für seinen guten Dienst, und da er treulich sein Versprechen hielt, hat seither niemand mehr etwas von Lasse mein Knecht gehört.

In des Herzogs Haus war keine Änderung nach des wunderbaren Dieners Abschied zu verspüren. Glück und Segen begleiteten alles, was er tat, und mit Weisheit und Kraft herrschte er nicht nur über das Reich, das Lasse ihm erworben hatte, sondern nach des alten Königs Tod über das ganze Königreich, und wenn er noch am Leben ist, regiert er dort noch jetzt.