Öra

 

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  Bären-Öra

Da war einmal ein Bauer, der hatte einen Sohn von sechzehn Jahren, der doch noch niemals in der Stadt gewesen war. Als nun der Sohn verlangte, mit dem Vater dorthin zu gehen, bekam er die Erlaubnis, und so gingen sie zusammen zur Stadt. Als sie nahe der Stadt waren, sahen sie Kanonen auf den Mauern der Festung, und der Sohn fragte, was für Dinge das denn wären.

»Das sind Kanonen«, sagte der Vater, »damit schießt man im Krieg.« Da bat der Sohn den Vater, er solle ihm ein solches Ding zum Spielen kaufen.

»Du bist närrisch«, antwortete der Bauer, »zehn Mann könnten kaum das eine Ende heben, und du willst damit spielen.«

Aber der Sohn ging hin, hob das eine Ende mit einem Finger, und sogleich warf er sich die Kanone über die Schulter und trug sie so leicht wie einen Strohhalm. Da bekam der Bauer Angst vor der Stärke seines Sohnes; dann ging er mit ihm in die Stadt. Aber alles, was der Sohn da Großes und Schweres sah, das sollte ihm der Vater als Spielzeug kaufen. Endlich gingen sie wieder nach Hause.

Aber als der Sohn zwanzig Jahre alt war, wollte er hinaus und sein Glück in der Welt versuchen; deshalb bat er den Vater, ihm sein Erbe zu geben, und als der Vater fragte, worin das bestehen sollte, antwortete der Sohn:

»Ja, zwölf Ochsen sollen geschlachtet werden, aus der Haut von allen zusammen soll man einen Rucksack für mich machen, und das ganze Fleisch mit Brot soll man da hineingeben; und dann soll mir der Vater einen Stab aus zwanzig Liespfund Eisen und zwanzig Liespfund Stahl machen!« Aus Furcht gab ihm der Vater alles, und er fragte ihn nur, welchen Namen er jetzt führen wolle. »Ja, mein Vater, ich nenne mich Bären-Öra, weil ich so stark bin«, antwortete der Sohn; dann nahm er Abschied und machte sich auf die Wanderschaft, mit seinem Sack auf dem Rücken und seinem Eisenstab in der Hand. Er ging nun durch große Wälder einen langen, langen Weg, bis er zu einem breiten Strom kam, wo ein alter Mann stand und das Wasser mit seinem Bart aufstaute. »Weshalb machst du das so, Bruder?« sagte Bären-Öra zu dem Alten.

»Ja«, sagte der, »damit die da unten nicht einen Tropfen Wasser für ihre Mühlen bekommen.« »Na«, sagte Bären-Öra, »da wirst du wohl schön stark sein, und da habe ich Lust, dich ein wenig zu prüfen.« Und so rang Bären-Öra mit dem Bartmann, dass der auf beide Knie fiel.

»Du bist nicht übel!« sagte Bären-Öra. »Komm, wir wollen miteinander gehen«; und so machten sie's. Nachdem sie einige Tage zusammen gewandert waren, erblickten sie im Wald einen Mann, der riss große Eichen mit der Wurzel aus.

»Guten Tag«, sagte Bären-Öra, »du scheinst tüchtig stark zu sein, und drum möchte ich's einmal mit dir versuchen.« Da griffen sie einander an, aber dieser Mann war stärker als der mit dem Bart; dennoch zwang ihn Bären-Öra schließlich auf ein Knie.

»Du bist nicht übel!« sagte Bären-Öra. »Komm, so wollen wir alle drei gemeinsam gehen« - und so machten sie's. So wanderten die drei starken Männer eine lange Zeit zusammen, bis sie zu einer Hütte mit einem flachen Dach kamen, und da gingen sie hinein, fanden jedoch niemanden drinnen; aber auf dem Feuer stand ein Topf und kochte. »Hier lassen wir uns nieder und bleiben«, sagte Bären-Öra; und so geschah es.

Am ersten Tag sollte der mit dem Bart zu Hause bleiben und nach dem Essen sehen, und die beiden anderen wollten in den Wald hinausgehen und sich Wildbret verschaffen, und Bären-Öra sagte:

»Schau nun nach dem Kochtopf und lass dir von keinem das Essen wegnehmen!«, und so gingen sie in den Wald. Aber als der Mann, der zu Hause geblieben war, den Topf vom Feuer genommen hatte, kam da ein Bergtroll herein und verlangte Essen. Der Mann mit dem Bart verweigerte es ihm wohl, aber der Bergtroll nahm ganz einfach den Topf und setzte ihn an den Mund und schüttete das ganze Essen in sich hinein und ging seines Weges. Jetzt kommt Bären-Öra mit dem anderen Kameraden nach Hause und fragt, ob das Essen fertig sei; aber der Mann mit dem Bart wagte nicht zu sagen, wie es zugegangen war.

Am anderen Tag sollte der, der Eichen mit der Wurzel herausgerissen hatte, zu Hause bleiben und nach dem Essen schauen; aber wieder kam der Bergtroll und schlang alles in sich hinein. Aber am dritten Tag sollte Bären-Öra selbst zu Hause bleiben und kochen: wieder kam der Bergtroll und wollte das Essen wegnehmen. Aber Bären-Öra sagte:

»Nun sehe ich, wie es mit den anderen gegangen ist - jetzt wirst du's gewahr werden«, und dabei erhob er seinen Eisenstab, dass das Dach davonflog; und damit musste der Bergtroll weichen, ohne etwas zu essen zu bekommen. Er wurde aber so zornig, dass er eine große Eiche mit den Wurzeln herausriss und verschwand. Als die anderen aus dem Wald nach Hause kamen, sagte Bären-Öra:

»Hier habt ihr jetzt Essen, denn ich hab's dem Bergriesen auch gegeben, aber mit Schwung durch die Tür.«

Als sie alle drei gegessen hatten, sagte Bären-Öra, sie müssten jetzt los und den Bergtroll im Wald suchen. Alle Bäume waren niedergebrochen, wo der Bergtroll mit der Eiche gegangen war, und so konnten sie seiner Spur leicht auf einen hohen Berg folgen, in dem sie ein bodenloses Loch sahen, und da war der Troll hinuntergegangen.

Nun lag der Berg dicht am Meeresufer, und draußen auf dem Wasser lag ein großes Schiff. Da nahmen sie ein Boot und ruderten dorthinaus und nahmen von den erschreckten Seeleuten das ganze Tauwerk des Schiffes. Sie schleppten alles hinauf zu dem Loch im Berg, banden alles zu einem Tau zusammen, und Bären-Öra lässt sich in den Berg hinein abfieren. Als Bären-Öra hinunterkam, erblickte er ein Schloss mit einem Burghof dabei, und dort lag eine ausgerissene Eiche. Aber er sah nirgends einen Eingang in das Schloss, nur einen kleinen Spalt; da nahm er einen so großen Stein, wie er ihn gerade heben konnte, und schlug so daran, dass es drinnen im Schloss dröhnte. Da kam eine Prinzessin heraus und sagte:

»Ihr riecht nach Christenblut! Seine Majestät ist heimgekommen und ist sehr böse, denn irgendeiner scheint ihn erzürnt zu haben; aber wenn Ihr mir nur vertrauen wollt, so werde ich versuchen, euch zu helfen.

Wenn nun der Bergkönig euch zu sehen bekommt, so sagt er zu mir: >Geh hinunter und zapfe Starkenflut für mich und Müdenflut für euch< - die eine gibt Stärke und Mut, die andere nimmt Stärke und Mut; und dann reiche ich euch Starkenflut, und da werdet Ihr doppelt so stark.« Das merkte auch der Bergkönig sofort: er läuft zur Wand und nimmt sein Trollschwert; aber Bären-Öra rief: »Wart' ein wenig!«, und sogleich schlug er mit seiner Eisenstange den Bergtroll zu Tode. Im gleichen Augenblick kam ein altes, hinkendes Weib herzugelaufen und fragt, was denn hier los sei. »Das sollst du gleich sehen!« antwortete Bären-Öra, zog das Schwert, das der Troll besessen hatte, und schlug der Alten den Kopf ab. »Jetzt sind wir befreit!« rief die Prinzessin und erzählte Bären-Öra dann, dass sie eine Prinzessin von Reich-Arabien sei und dass sie vor zehn Jahren von dem Bergkönig in einer Wolke aus dem Schlossgarten geraubt wurde; und nun bat sie Bären-Öra, er solle sie heim nach Reich-Arabien bringen.

Das versprach Bären-Öra, ging mit der Prinzessin aus dem Schloss, band einen Korb an das Tau und ließ seine Kameraden die Prinzessin aus dem Berg hinaufziehen, und sogleich kam der Korb für Bären-Öra wieder herunter. Der aber ahnte eine Spitzbüberei und legte deshalb zur Probe in den Korb einen Stein, der ebenso schwer war wie er selbst. Und als der Stein ungefähr den halben Weg hinaufgezogen war, schnitten die Schurken das Tau ab, und der Stein fiel wieder herunter.

Jetzt glaubten die beiden anderen Kameraden, die die Prinzessin in ihrer Gewalt hatten, dass Bären-Öra tot oder für alle Zeit im Berge eingeschlossen sei. Deshalb zwangen sie die Prinzessin zu sagen, dass sie sie gerettet hätten, sonst drohe ihr der Tod, und das musste sie auch versprechen. Aber die Hochzeit mit einem von den beiden sollte ein Jahr aufgeschoben werden.

So machten sie sich mit der Prinzessin auf die Wanderung und kamen nach einer Zeit nach Reich-Arabien, und dort wurde der König unendlich froh, als er seine schöne, weggeraubte Tochter wiederbekam; die erzählte jetzt von ihrem Schicksal und wie sie am Ende von diesen beiden starken Männern gerettet worden war und dass sie einem von ihnen übers Jahr ihre Hand versprochen hatte. Damit war der König sehr zufrieden, und die beiden waren am Königshof wie Prinzen angesehen und fühlten sich so.

Inzwischen geht Bären-Öra im Berg umher und ist traurig über seine Not und seine falschen Kameraden. Er geht jetzt ganz allein durch das Bergschloss und grübelt, aus einem Saal in den anderen, aus einer Kammer in die andere. Endlich findet er da eine kunstvoll gemachte Pfeife, und als er in die hineinbläst, kommt sogleich ein Diener hervor, der ihn fragt, was Seine Majestät befiehlt. Bären-Öra wurde stumm vor Verwunderung, aber, so dachte er bei sich, du musst doch wohl etwas antworten, und da sagte er: »Ich befehle etwas zu essen hierher!«, und im Augenblick stand da ein königlicher Tisch mit allerhand Speisen und Getränken.

Da dachte Bären-Öra: »Hier hast du keine Not! «, und als er sich sattgegessen hatte, befahl er ein Bett zu bekommen, und das geschah auch im Augenblick. Am anderen Morgen blies Bären-Öra in die Pfeife, und wieder kam derselbe Diener und fragte, was Seine Majestät befehle:

»Ich will was zu essen haben«, sagte Bären-Öra. Während er aß, fragte der Diener, ob Seine Majestät nicht geruhen wolle, die Regimenter zu sehen. »Was, gibt es hier so etwas!« sagte Bären-Öra. »Ja, und sie sind auch tüchtig.«

Aber als Bären-Öra kam und ein Regiment sehen wollte, da bestand es aus Schlangen und Fröschen. Bären-Öra wunderte sich über ein solches Regiment, aber der Diener behauptete, das seien im Krieg die Zuverlässigsten. Darauf fragte Bären-Öra, ob es hier auch Pferde gebe. »Ja«, antwortete der Diener, »drei Paar, eines, das läuft hundert Meilen in der Stunde, das andre Paar läuft zweihundert und das dritte dreihundert Meilen in der Stunde.« Danach fragte er: »Gibt es hier irgendwelche königliche Kleider?« »Ja«, antwortete der Diener, »drei von dem vorigen König.«

Aber die waren so groß, dass Bären-Öra gerade durch jeden Ärmel hindurchgehen konnte. Da fragte Bären-Öra nach einem Schneider, den ihm der Diener sogleich verschaffte, und der änderte das prächtige goldgestickte Kleid nur dadurch, dass er es ein paar Mal schüttelte. »Hier gibt's nette Leute«, sagte Bären-Öra. Aber nun begann er an die Prinzessin zu denken, befahl die besten Pferde vorzuführen und sagte, der Diener solle ihn nach Reich-Arabien fahren.

»Ja«, sagte der Diener, »die Prinzessin hat auch schon viel an Eure Majestät gedacht; morgen aber soll sie mit dem, der Eichen mit der Wurzel herausgezogen hat, getraut werden.« Nun hatte es Bären-Öra eilig; und es ging über Berge, Seen und Wälder, und am nächsten Tag stand die Kutsche auf dem königlichen Schlosshof in Reich-Arabien. Die Prinzessin, die eben am Fenster stand, kannte Bären-Öra sogleich an seinem großen Stab wieder, und sie rief laut ihrem Vater, dem König, zu:

»Jetzt kommt der, der mich von dem Bergtroll gerettet hat!« Als Bären-Öras zwei falsche Kameraden das sahen und hörten, flohen sie Hals über Kopf vom Schloss. Und so bekam Bären-Öra die Prinzessin als Gemahlin. Zu seinem treuen Diener sagte er: »Reise nun zurück in das Bergschloss und sei dort König an meiner Stelle.«

Danach wurde der große und starke Bauernsohn Bären-Öra König über ein großes Reich.