Jonides & Hildur

 

HomeIrlandIslandEnglandGriechenlandSchwedenItalien


Jonides und Hildur

Es waren einmal ein König und eine Königin in ihrem Reiche; die hatten eine Tochter, welche Hildur hieß. Dieselbe war eben geboren, als diese Geschichte sich ereignete.

Der König ritt oft zu seinem Vergnügen auf die Jagd. Da geschah es nun einmal, dass derselbe, sowie er in den Wald hinausgekommen war, einen großen Drachen fliegen sah, welcher ein Kind in den Klauen hatte. Der König schoss nach dem Drachen und war so glücklich, denselben mitten ins Herz zu treffen, so dass er tot zur Erde niederfiel; das Kind aber bekam er noch lebend in die Hände. Es war dies ein sehr hübscher Knabe, der beiläufig ein Jahr alt sein mochte. Der König nahm den Knaben mit sich nach Hause und gab ihm den Namen Jonides. Er ließ ihn mit seiner Tochter Hildur aufziehen und bezeigte ihm stets große Liebe.

Die Kinder wuchsen zusammen auf, und als sie älter wurden, fassten sie Liebe zueinander. Hildurs Großmutter war sehr zauberkundig und unterrichtete auch das Mädchen in diesen Künsten; Hildur lernte dies so leicht, dass sie schon in der Jugend in vielen Dingen sehr erfahren war. Die Großmutter merkte bald, dass Hildur und Jonides einander liebten; da sie aber um keinen Preis wollte, dass Jonides das Mädchen zur Frau erhalte, beschloss sie, denselben mittelst Gift aus dem Wege zu schaffen. Sie kam deshalb eines Tages mit einem Gerichte zu ihnen hinein und forderte sie auf zu essen.

Hildur aber sah, dass die Speise vergiftet war und warnte darum Jonides, davon zu kosten. Da machte sie einen anderen Versuch, indem sie dieselben im Bette ermorden wollte; aber Hildur hatte dies vorausgesehen und Holzklötze in die Betten gelegt Das alte Weib hieb in dieselben; das Schwert blieb jedoch in den Klötzen stecken; zugleich hafteten ihre Hände an dem Schwert fest, und sie musste nun so sitzen, bis es Morgen wurde.

Hildur sah nun, dass sie in der Hauptstadt ihres Vaters nicht mehr länger vor den Nachstellungen der Großmutter sicher seien, und sie verließen deshalb die Stadt und gingen hinaus zu einem Bache, welcher in der Nähe floss. Hier verwandelte sie sich und ihn in Forellen und sie sprangen sodann beide in den Bach.

Die Großmutter erhielt hiervon Kunde, kam zu dem Bache und wandte alle ihre Kunst an, um die beiden Forellen zu fangen; es gelang ihr aber nicht In der Nacht darauf nahmen dieselben wieder ihre eigene Gestalt an, und Hildur sagte nun, dass es auf diese Weise nicht weitergehen könne; denn die Großmutter sitze jetzt daheim und sei mit der Bereitung eines Netzes beschäftigt, um sie darin zu fangen; sie sollten deshalb lieber in den Wald gehen.

Die Großmutter bekam auch hiervon Kunde und sandte zwei Knechte in den Wald mit dem Auftrage, dass sie alles Lebende, was sie sehen würden, töten sollten.

Dieselben begaben sich hinaus in den Wald, sahen aber kein Tier. Erst gegen Abend erblickten sie zwei Hunde, welche so schön waren, dass sie früher niemals solche gesehen zu haben glaubten. Die Hunde waren sehr zutraulich zu den Knechten, ließen sich aber doch nicht fangen. Diese kehrten deshalb nach Hause zurück und erzählten, wie es ihnen ergangen sei. Das alte Weib sagte, dass dies Hildur und Jonides gewesen seien, und dass die Knechte nicht gehandelt hätten, wie sie sollten, und ließ dieselben erschlagen.

Hildur sah nun, dass es auch auf diese Weise nicht gehen werde; sie nahm deshalb ein grünes Tuch, forderte Jonides auf, mit ihr darauf zu steigen, und erhob sich auf demselben in die Luft.

Sie schwebten so einen großen Teil des Tages hindurch dahin, bis Hildur das Tuch wieder auf die Erde niedersinken ließ. Sie landeten auf einer wunderschönen Ebene und es war hier die herrlichste Gegend. »Das nun ist dein Vaterland«, sagte Hildur, »und du bist der Sohn des Königs, welcher hier herrschte; aber er ist nun schon mehrere Jahre tot. Als du ein Jahr alt warst, ging deine Mutter mit dir in einen Obstgarten; da kam ein Drache an sie herangeflogen, und entriss dich ihrem Busen. Dies bereitete deinem Vater große Sorgen, denn er hatte kein anderes Kind; er starb endlich aus Kummer. Das Reich ist jetzt ohne Herrscher, denn deine Mutter liegt krank vor Gram und Schmerz danieder. Du sollst daher in die Stadt gehen und deiner Mutter alles erzählen, was sich mit dir zugetragen hat; sie wird dich dann wiedererkennen und dir die Herrschaft über das Reich übergeben. Ich selbst will vorläufig hier in einer kleinen Hütte verbleiben; aber ich bitte dich, vergiss meiner nicht.«

Jonides antwortete, dass dies nie geschehen werde, denn er liebe sie wie sich selbst. Hildur aber sagte, sie fürchte dennoch, dass es so kommen könne. Hierauf schmierte sie ihn mit einer Salbe aus einer Büchse und nahm weinend von ihm Abschied.

Jonides machte sich auf den Weg nach der Stadt; als er aber den halben Weg dahin zurückgelegt hatte, kam eine Hündin zu ihm heran und leckte die ganze Salbe von ihm ab; in diesem Augenblicke vergaß er Hildur und erinnerte sich gar nicht weiter mehr an sie.

Als er in die Stadt kam, bat er, dass er die Königin sprechen dürfe, und dies wurde ihm auch gestattet Er erzählte derselben nun seine ganze Lebensgeschichte und dass er ihr Sohn sei. Die Königin erkannte sogleich, dass seine Erzählung wahr sei, und sagte, dass sie ihn auch an seiner Ähnlichkeit mit seinem verstorbenen Vater erkennen könne. Er wurde sodann König in dem Reiche, und es ging nun alles gut, dünkte es den Leuten.

Kurze Zeit, nachdem Jonides König geworden war, erschien ein schönes Mädchen in der Stadt. Niemand wusste, woher sie gekommen war, aber niemand konnte sich auch erinnern, jemals ein so wunderschönes Mäd­chen gesehen zu haben. Der König sah mit Liebesaugen auf sie und nahm sie zum Weibe. Die Leute fanden aber nicht, dass sie auch so gut war wie schön.

Einmal nun trug es sich zu, dass einer von den Knechten des königlichen Schweinehirten sich im Walde verirrte und zu einer kleinen Hütte kam. In derselben hausten ein alter Mann und ein altes Weib, sowie Hildur, welche sie ihre Tochter nannten. Der Knecht bat, dass er in der Hütte übernachten dürfe, und dies wurde ihm auch gestattet.

Als aber die Leute schlafen gingen, sagte der alte Mann zu dem Knechte, dass er kein Bett für ihn habe, es sei denn, dass er bei Hildur, seiner Tochter, schlafen wolle. Der Knecht antwortete, dass er darin etwas so Schlimmes nicht finde, denn es scheine ihm, dass er niemals ein schöneres Mädchen gesehen habe. Er legte sich nun in Hildurs Bett; sie sagte jedoch, dass sie noch hinaus müsse, weil sie auf dem Herde das Feuer noch nicht geborgen habe. Der Knecht erbot sich, dies für sie zu tun und bat sie, sich inzwischen ins Bett zu legen. Er ging denn auch hinaus, um das Feuer zu bergen; aber da blieben seine Hände an den Steinen des Herdes haften, und er stand nun hier und mühte sich ab, dieselben frei zu machen. Aber erst des Morgens gelang es ihm, sich loszulösen; er ging nun rasch von dannen.

Als der Knecht nach Hause kam, fragte ihn der Schweinehirt, wo er die Nacht zugebracht habe. Der Knecht sagte es ihm und fügte hinzu, dass er bei der Tochter des alten Mannes geschlafen habe.

Da erwachte auch in dem Schweinehirten das Verlangen, dahin zu gehen und die Nacht dort zuzubringen. Er machte sich auf den Weg, kam des Abends zu der Hütte und bat um Nachtherberge. Der alte Mann gewährte ihm dieselbe und lud ihn ein, in die Hütte zu kommen.

Der Schweinehirt fand großen Gefallen an der Tochter des alten Mannes und freute sich bereits auf die Nacht. Als man sich anschickte, zu Bette zu gehen, sagte der alte Mann, dass er nirgends eine Schlafstelle für ihn habe, es sei denn, dass er bei seiner Tochter schlafen wolle. Der Schweinehirt dachte bei sich, dass man ja noch ein schlechteres Lager bekommen könne, und ging zu Bette. Als aber nun Hildur sich schlafen legen wollte, sagte sie:

»Ah, da habe ich jetzt vergessen, die Haustüre zu schließen!«und wollte hinausgehen.

Der Schweinehirt sagte jedoch: »Nein, das soll nicht geschehen, dass du hinausgehst; ich werde gehen und die Türe zuschließen.«

Er ging sodann hinaus und schob den Riegel vor, aber er blieb an dem Riegel hängen und konnte sich nicht früher frei machen, als bis es Morgen war; da eilte er beschämt von dannen.

Einige Zeit später traf es sich, dass der König auf der Jagd war und plötzlich ein so starker Nebel einfiel, dass er sich verirrte und von seinen Leuten getrennt wurde, so dass er ganz allein war. Er irrte lange umher, bis er endlich zu derselben Hütte kam. Er klopfte an die Türe. Der alte Mann kam heraus und lud ihn ein, in die Hütte zu kommen. Da erkannte er den König und bat ihn mit der geringen Wohnung, die er ihm bieten könne, fürlieb zu nehmen. Er bewirtete auch den König, so weit er es mit seinen ärmlichen Mitteln im Stande war; als sich aber der alte Mann anschickte, zu Bette zu gehen, sagte er zu dem Könige, dass er ihm kein Lager anbieten könne, es sei denn, dass er bei seiner Tochter schlafen wolle. Der König entgegnete, dass er damit ganz zufrieden sei; denn das Mädchen gefiel ihm sehr. Er legte sich auch in ihr Bett; als nun aber Hildur sich schlafen legen wollte, sagte sie:

»Ah, da habe ich jetzt vergessen, die Kälber in den Stall zu geben.«

»Ich werde hinablaufen und sie in den Stall treiben«, sagte der König und lief hinaus.

Er begann nun, den Kälbern nachzujagen, welche sich sehr wild gebärdeten. Endlich gelang es ihm, ein Kalb beim Schwanze zu erfassen, aber da blieb seine Hand an demselben haften und er hing nun an dem Schwanz des Kalbes, bis Hildur des Morgens hinauskam. Sie lachte da laut auf, und sagte:

»Das ist nicht königlich, sich an den Steiß eines Kalbes zu hängen.«

Der König bat sie ganz demütig, dass sie ihn frei machen möge, und dies tat sie auch. Nun fragte sie den König, ob er sie nicht erkenne. Er verneinte es. Hierauf fragte sie ihn weiter, ob er sich auch nicht an Hildur, die Königstochter, erinnere, welche ihn in sein Reich gebracht habe. Auch daran erinnere er sich nicht, sagte er.

Da holte nun Hildur die Büchse mit der Salbe und bestrich ihn damit, und augenblicklich erinnerte er sich nun an Hildur, kannte sie und schloss sie in seine Arme.

Hildur erzählte ihm dann, dass die Königin, welche er nun habe, ihre alte Großmutter sei, welche die Gestalt eines Mädchens angenommen habe und ihm das Leben nehmen wolle; sie habe dies aber, sagte Hildur, bis auf den heutigen Tag verhindert Sie bat nun den König, nicht länger das Leben der Großmutter zu schonen, sowie er wieder nach Hause gekommen sei.

Sie nahmen hierauf in großer Liebe voneinander Abschied. König Jonides begab sich wieder heim in sein Reich und ließ sogleich nach seiner Ankunft daselbst seine Königin ergreifen, in einen Sack stecken und ertränken. Hierauf sandte er ein schönes Gefolge zu Hildur, um sie abzuholen, und feierte seine Hochzeit mit ihr. Sie lebten hierauf noch lange, hatten Kinder und Kindeskinder und starben in hohem Alter.