Mataora

 

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 Mataora und Niwareka

Das ist die Geschichte von Mataora, der in der Unterwelt die Kunst des Tätowierens erlernte und sie in die obere Welt zurückbrachte.

Eines Tages, als Mataora gerade in der Sonne lag und schlief, kamen einige Turehu vorbei und blieben stehen, um ihn anzuschauen. Diese jungen Frauen waren nicht von dieser Welt, daher hatten sie noch nie einen so gutaussehenden jungen Häuptling gesehen. Die Turehu sind ein merkwürdiges kleines Volk mit blasser Haut und hellen, langen Haaren. Ihre Heimat ist in der Unterwelt, dort sind sie Geister. Diese Turehu standen also um Mataora herum, und bewunderten sein Aussehen. Ihre Gegenwart weckte ihn auf. Er war so überrascht, dass er sie fragte: »Seid ihr Frauen?« Und sie antworteten: »Bist du ein Mann?« Daher zeigte er ihnen seine Männlichkeit.

Dann lud er sie ein: »Kommt zu mir nach Hause«, und sie taten es. Aber sie gingen nicht in Mataoras Haus, und sie aßen auch nicht von den Speisen, die er ihnen anbot. Es waren gekochte Speisen, so etwas hatten sie noch nie gesehen. Sie sagten, es sei verdorben und dass sie es nicht anrühren würden. Daher musste Mataora ungekochte Speisen für sie besorgen.

Nachdem sie gegessen hatten, wollte Mataora seine Gäste unterhalten. Dazu holte er sein Maipi, seine hölzerne Waffe, hervor und gab damit an. Er tänzelte und sprang umher, er zog Gesichter und streckte seine Zunge heraus, bis sie sein Kinn bedeckte, und er warf das Maipi in die Luft, als wäre es nicht schwerer als ein Stöckchen. Nachher versuchten die Turehu, das Maipi aufzuheben, und sie staunten über Mataoras Kraft.

Als Gegenleistung gaben die Turehu ihm eine Tanzvorstellung. Sie stellten sich in zwei Reihen auf, und eine von ihnen trat vor, um den Tanz anzuführen. Mataora hörte, wie sie ihren Namen sagten, er lautete Niwareka. Sie führten einen Tanz auf, der ganz anders war als die Tänze, die Mataora je gesehen haue. Sie fassten sich zu zweit an den Händen und tanzten und sangen. Dann hielten zwei ihre Hände in die Höhe, während die anderen darunter hindurchgingen. Diese Turehu hatten so langes Haar, dass es ihnen bis zur Hüfte herabhing und sie bedeckte. Ihre Röcke waren aus Seegras.

Niwareka war die Tochter von Uetonga, einem Nachkommen von Hine nui te Po, der Göttin der Nacht, und deren Mann Ruaumoko, dem Gott des Erdbebens. Niwareka war schön; Mataora begehrte sie. Als für die Turehu die Zeit kam, sein Haus zu verlassen, überredete er Niwareka, zu bleiben und seine Frau zu sein. Sie lebten ruhig miteinander und waren zufrieden, obwohl Mataora ein Mann von dieser Welt war und gekochte Speisen aß, während Niwareka zur Unterwelt gehörte. Aber eines Tages geschah etwas, was Mataora eifersüchtig machte, und er schlug seine Frau.

Niwareka war so bestürzt, dass sie kaum sprechen konnte. In ihrem Land schlugen die Männer die Frauen nicht. Als Mataora sie schlug, erschrak Niwareka so sehr, dass sie das Haus verließ und zu ihrem Volk zurückkehrte.

Mataora bereute, was er getan hatte. Er trauerte um Niwareka und vermisste sie sehr. Er beschloss, sich auf den Weg zu machen und sie zu suchen. Er ging zuerst nach Tahuaroa im sehr fernen Land mit Namen Irihia, dort, wo der riesige Berg Hikurangi steht, dessen Gipfel in die Himmel ragt. Die Menschen dort hatten jedoch keine Nachricht von Niwareka, und so ging er weiter nach Poutererangi, dem Eingang zur Unterwelt, der von Te Kuwatawata bewacht wird. Den fragte Mataora: »Hast du eine junge Frau hier vorbeigehen sehen ?« »Wie sieht sie aus ?« fragte Te Kuwatawata. »Sie hat helles Haar«, sagte Mataora. »Sie ging hier vorbei und weinte«, antwortete Te Kuwatawata. Mataora war ermutigt, als er hörte, dass sie noch weinte.

Te Kuwatawata erlaubte ihm, in die Unterwelt einzutreten. Er trug Speisen aus seiner Welt bei sich, und als er weiterging, traf er Tiwaiwaka, die Pfauentaube, die vor seinem Gesicht umherflatterte und ihn erfreute. »Was tun die Leute hier unten?« erkundigte sich Mataora beim Vogel. »Sie sind mit der Kumara-Ernte beschäftigt«, sagte Tiwaiwaka. »Einige bauen Häuser, andere fischen. Einige lassen Drachen fliegen, und andere sind beim Tätowieren.« Mataora fragte Tiwaiwaka, ob er Niwareka gesehen habe. »Sie ging hier vorbei mit geschwollenen Augen und hängenden Lippen«, antwortete Tiwaiwaka, und Mataora ging voller Hoffnung weiter. Er setzte seine Reise fort, bis er das Haus von Uetonga erreichte. Seinen Namen kennen heute alle Menschen: In der Unterwelt war er der Fachmann für Tätowierungen, und von ihm stammen alle Tätowierungsmuster der Oberwelt. Uetonga tätowierte gerade das Gesicht eines Häuptlings. Dieser lag mit geballten Fäusten und zuckenden Fußzehen auf dem Boden, während Niwarekas Vater sein Gesicht mit einem Knochenmeißel bearbeitete. Mataora war sehr überrascht, als er sah, dass Blut von der Wange des Häuptlings floss. Mataora hatte auch ein Muster auf dem Gesicht (Moko), aber es war mit Ocker und blauem Ton gemalt, so wie es damals in der Oberwelt gemacht wurde. Aber so ein Moko, wie Uetonga es machte, hatte Mataora noch nie gesehen, und er sagte zu ihm: »Du machst das falsch. Oh, du alter Mann. Wir machen es anders.« »Ganz recht«, erwiderte Uetonga, »ihr macht es anders. Aber ihr macht es falsch. Was ihr da oben macht, ist nur gut für den Wald. Aber siehst du«, sagte er und streckte seine Hand nach Mataoras Wange aus, »es lässt sich abreiben.« Uetonga verschmierte mit seinen Fingern Mataoras Gesichtsfarben und verdarb sein Aussehen. Alle umhersitzenden Leute lachten und Uetonga mit ihnen.

»In der Oberwelt sind die Verzierungen nur aufgemalt«, sagte Uetonga. »Höre, Mann von der Oberwelt, es gibt folgende Verzierungen: Es gibt Webmuster für die schönsten Umhänge; es gibt Holzschnitzereien für Häuser, Waffen und große Kanus; und es gibt Mokos so wie dieses. All diese Muster sind dauerhaft, denn sie gehen in die Tiefe. Aber das da auf deinem Gesicht, das geht nicht in die Tiefe, das kann weggerieben werden.« Mataora dachte darüber nach und sagte dann zu Uetonga:

»Herr, du hast recht. Du musst mein Moko richtig machen. Mache es so wie das Gesicht dieses Mannes.«

Und so wurde der Häuptling, dessen Gesicht blutete, weggeschickt, und Uetongas Helfer wuschen Mataoras Gesichtsfarbe weg und machten ihn bereit. Dann nahm Uetonga seinen Knochenmeißel, tauchte seine Spitzen in eine Mischung aus Kauri, Ruß und Haifischöl und begann zu arbeiten. Er fing mit Mataoras Kinn und Unterlippe an. Vor Schmerz ballte Mataora seine Fäuste und krümmte seine Beine. Aber er war fest entschlossen, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr es ihm weh tat. Seine Lippen schwollen an, und als ihn vor Schmerz dürstete, konnte er nicht trinken. Daher brachten sie ihm Wasser mit einem Kürbis und schütteten es durch einen Trichter in seinen Mund. Es war ein schön geschnitzter Holztrichter, die Vorlage für die Trichter, die unsere Tätowierungskünstler heute benutzen.

Der Schmerz machte Mataora beinahe ohnmächtig. Um ihn zu stärken und seine Schmerzen zu lindern, setzten sich einige Frauen zu ihm und sangen ein Lied. Um den Leuten zu zeigen, dass er die Schmerzen ertragen könne, sang auch Mataora ihnen ein Lied vor, ein selbsterfundenes Lied, welches aber ein wenig durcheinander war. Es fing so an:

»Niwareka! Niwareka, großes Entzücken! Wegen dir bin ich in die Dunkelheit gekommen, in die äußerste Dunkelheit! Sprich vom Schmerz der Geliebten die in Ahuaha ist und in Rangatira, und in Nuku moana ariki...«

Nun hörte eine von Uetongas Töchtern den Namen ihrer Schwester im Lied dieses Mannes von der Oberwelt. Sie lief zu Niwareka, die gerade einen Umhang webte. »Oh, Niwareka«, sagte die Frau zu ihrer Schwester, »da ist ein gutaussehender Mann, der gerade von deinem Vater tätowiert wird. Er singt ein Lied, in dem dein Name vorkommt. Er ist ganz durcheinander.«

Niwareka und alle Leute, die dabeiwaren, standen auf und gingen zu Uetongas Haus, um diesen Mann zu sehen. Als sie ankamen, war sein Gesicht so geschwollen, dass er nicht aus den Augen sehen konnte. »Dieser Mann sieht wie Mataora aus, und sein Umhang sieht wie einer von mir aus«, sagte Niwareka. Sie setzte sich neben ihn und flüsterte:

»Bist du Mataora?« Er nickte als Antwort und streckte seine Hand nach ihr aus. Weinend begrüßte Niwareka ihren Mann. Dann gab sie ihm Wasser zu trinken, zerstampfte etwas zu essen und flößte es ihm durch den Trichter ein. Als sein Gesicht geheilt war, sah Mataora außerordentlich gut aus, und er wurde von allen bewundert. Nach einiger Zeit sagte er zu Niwareka: »Laß uns nun in meine Oberwelt zurückkehren.«

Aber Niwareka wollte nicht mit ihm gehen. Sie sagte: »Ich muss mit meinen Verwandten sprechen. Das Leben in der Oberwelt ist schlecht, dort schlagen die Männer die Frauen. Beide Welten haben von unseren Problemen gehört, Mataora.« Dann besprach sie die Angelegenheit mit ihren Verwandten. Eines Tages kam Uetonga zu Mataora. »Vielleicht hast du vor, in deine Heimat zurückzukehren«, sagte der alte Mann. »Wenn du dies willst, dann lass Niwareka hier. Ist es denn in deiner Welt üblich, dass die Männer die Frauen schlagen?«

Da schämte sich Mataora und ließ seinen Kopf hängen. Als nächster kam Niwarekas Bruder zu Mataora und sagte: »Warum bleibst du nicht hier, Mata? Du siehst doch, dass du hier willkommen bist. Du musst doch bemerkt haben, dass die Probleme der Oberwelt alle Menschen dazu bringen, am Ende zu uns in die Unterwelt zu kommen.« Später sprach Uetonga nochmals mit Mataora. »Oh, Mata«, sagte er, »las uns nie zu Ohren kommen, dass du noch einmal tust, was du damals in der Oberwelt getan hast. Diese Welt und die deinige sind durch einen großen Unterschied getrennt. Wir hier leben friedlich.«

Da wusste Mataora, dass die Leute beschlossen hatten, die Frau mit ihm gehen zu lassen. Er bereitete ihre Abreise vor, und sein Schwiegervater sprach noch einmal mit ihm:

»Schlage Niwareka nicht ein zweites Mal.« »Nein, Uetonga«, sagte Mataora, »das Moko, das ich nun im Gesicht trage, ist nicht mehr abzureiben.« Mataora und Niwareka machten sich auf den Weg zurück in die Oberwelt. Zum Abschied schenkte Uetonga Mataora den Umhang Rangi haupapa. Dieser ist das Vorbild, nach dem heute alle Umhänge der Oberwelt gewebt sind. Mataora rollte ihn in seinen Regenumhang und schnürte ihn auf seinen Rücken. Auf ihrer Reise trafen die beiden Tiwaiwaka, die Pfauentaube, die immer noch dort umherflatterte, wo Mataora sie damals getroffen hatte. Sie schlug ihren Pfauenschwanz auf und schnappte mit dem Schnabel. Tiwaiwaka hielt sie bis zum späten Frühjahr zurück. Dann ließ er sie weiterziehen mit Ruru der Eule, Pekapeka der Fledermaus und Kiwi als Führern. Mataora fürchtete, diese Wesen der Nachtwelt könnten durch das Licht der Oberwelt getötet werden, aber Tiwaiwaka sagte ihm, dass er sie stets an dunklen Orten verstecken solle. Aus diesem Grund gehen Eule, Fledermaus und Kiwi nur des Nachts aus. Sie sind Vögel, die aus der Unterwelt stammen.

Als Mataora und seine Frau den Eingang der Unterwelt erreichten, fragte sie der Te Kuwatawata, der Hüter, was sie von dort mit sich nähmen. »Nur diese Vögel und die Kunst der Gesichtstätowierung, die Uetonga mich gelehrt hat«, antwortete Mataora.

»Was ist in dem Bündel auf deinem Rücken?« fragte Te Kuwatawata.

»Nur einige alte Kleidungsstücke«, erwiderte Mataora. »Oh, Mataora!« sagte Te Kuwatawata verärgert. »Nach dieser Lüge sollen nie wieder Menschen aus der Oberwelt durch diesen Eingang hinausgehen dürfen! Von nun an sollen sie nur noch abwärts gehen dürfen. Niemand außer den Geistern soll von hier aus je wieder nach oben gehen dürfen.«

»Warum?« fragte Mataora den Mann. »Du hast den Rangi-haupapa-Umhang in deinem Bündel«, antwortete Te Kuwatawata. »Warum hast du mir das nicht gesagt?«

Da schämte sich Mataora für seine Vergesslichkeit. Dies ist der Grund, weshalb seit der Zeit von Mataora und Niwareka kein lebender Mensch je von dieser Straße zurückgekehrt ist. Es ist die Straße, von der kein Reisender zurückkehrt, weil Mataora damals den Rangi haupapa verschwiegen hat.

Nachdem Mataora in seine Welt zurückgekehrt war, wurde die Kunst der Gesichtstätowierung unter unseren Leuten bekannt. Sie war von Uetonga an Mataora gelehrt worden und wurde von seinen Nachfahren von Havaiki nach Tongu nui, nach Ra'iatea, nach Hui te Rangiora und schließlich auch in unser Land gebracht.