Der Geizhals

 

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Der bekehrte Geizhals

Vor Jahren lebte ein Mann, der war so erpicht auf das Anhäufen von Geld, dass er keinem Bettler auch nur das geringste Almosen spendete und nie einem Tempel eine Opfergabe schenkte. Zuletzt wollte er sogar seine Diener entlassen, obwohl sie ihm treu dienten; denn er meinte, er könne das Geld für sie sparen.

Ganz plötzlich erkrankte er und war nun zwar sehr froh, die Diener doch noch nicht weggeschickt zu haben, aber von seiner geizigen, berechnenden Denkungsart konnte er sich nicht trennen und verschob seinen Vorsatz nur auf bessere Tage. Indessen nahm seine Krankheit immer mehr zu, und er wurde ratloser denn je, was er dagegen tun konnte.

Eines nachts lag er allein auf seinem Lager, die Diener hatten das Nachtlicht in dem dafür bestimmten, mit Papier überzogenen Kasten angezündet und sich entfernt. Da trat unangemeldet ein Mann in buddhistischer Kleidung ein. Der kranke Geizhals fing an zu schelten: »Ich gebe den Tempeln nichts, lasst mich in Ruhe! «

Anstatt wegzugehen, setzte sich der Besucher dicht neben den Kranken aufs Bett und erwiderte: »Glaub' nicht, dass ich von deinem Geld etwas will, das ist ohnehin mit Sünden bedeckt und verflucht. Ich will dir aber sagen, womit du dich noch retten kannst, und zwar aus bloßem Mitleid mit dir. Schenke soviel du kannst den Armen, verschenk alles - nur so vermeidest du deinen Tod. «

Als der Geizhals dies Wort hörte, wurde er vollends wütend; er sprang auf, ergriff einen Dolch, den er unter den Decken in Bereitschaft gehalten hatte, und fiel damit den Priester an. Der lachte höhnisch und wich ihm aus. Zugleich stieß er den Kasten mit dem Nachtlicht um, und es verlöschte. Mit veränderter, grässlicher Stimme rief der Eindringling dann in der Dunkelheit:
»Es ist um dich geschehen! Jetzt werde ich dir das Blut vollends aussaugen, wie ich es schon manche Nacht vorher getan habe, um dich krank und elend zu machen und dich für deine Schlechtigkeit zu strafen! «

Der Geizhals fühlte, wie ein rauhes, mit borstigen Haaren besetztes Etwas ihn umklammerte und wie sein schutzloser Hals zu schmerzen begann, als würde jemand hineinbeißen. In äußerster Todesangst schrie er aus Leibeskräften und hieb zugleich wie wahnsinnig mit dem Dolch um sich. Auf das Angstgeschrei kamen die Diener mit Licht gelaufen - im gleichen Augenblick spürte der Geizhals, wie sein Widersacher von ihm abließ.

Als die Diener herbeigeeilt waren, sahen sie nichts mehr, außer einem blutigen Klumpen, ähnlich einem riesigen Spinnenfuß, von schwärzlicher Farbe, so hart wie Horn und mit scheußlichen Haaren bedeckt. Offenbar hatte das Glied dem Eindringling gehört und war von ihrem Herrn in seinem Verzweiflungskampf abgeschnitten worden; das war auch aus einer breiten Blutspur ersichtlich, die das vampirhafte Geschöpf bei seiner Flucht zurückgelassen hatte.

Mutig wollten die Diener nun den Vorgang ergründen, und während einer von ihnen bei dem zu Tode erschrockenen Kranken als Wache blieb, folgten die ändern der Spur, die in den Garten bis zu einem der künstlich aufgeschütteten Steinhaufen führte, die gewöhnlich japanische Gärten verzieren. Hier bemerkten sie zwei riesengroße Spinnenfüße zwischen den Steinen, wagten aber nicht, sich dem Ungetüm noch mehr zu nähern.

Als sie noch unschlüssig dastanden, kam eine bedrohliche Stimme hinter den Steinen hervor: »Lasst von mir ab! Geht zu eurem Herrn zurück. Sagt ihm, wenn er sich nicht bessert, so ist er verloren, denn ich komme zurück, wann es mir beliebt, und richte ihn zugrunde. «

Die Diener zogen sich scheu zurück, liefen zu ihrem geizigen Herrn und berichteten ihm. Der Geizhals war tatsächlich von dem Geschehnis bis aufs Blut beeindruckt. Angst und Schrecken hatten ihm so zugesetzt, dass er Besserung gelobte. In Zukunft hatte es die Dienerschaft bei ihm besser, und die Armen kamen nie mehr umsonst an seine Tür. Von der Spinne blieb er verschont und erreichte ein hohes Alter.