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Die Ballingskellig - MelodieMaurice Connor war der König - und das ist kein geringes Wort in jedem Wörterbuch - unter den Pfeiffern von Munster. Er konnte Jigs und Reels spielen, den Ollistrum-Marsch und ganz seltene Melodien aller Art. Aber er kannte eine mehr als die anderen Pfeifer, und diese eine Melodie vermochte alles, ob nun tot oder lebendig, tanzen zu machen. Wie er diese Melodie lernte, entzieht sich meiner Kenntnis, denn er war sehr vorsichtig, etwas darüber verlauten zu lassen. Aber schon bei dem ersten Ton begann es jedem Wanderarbeiter in den Beinen zu zucken. Und dann machten sich ihre Füße selbständig und trugen einen jeden von ihnen fort, tanzend wie wild, hierhin und dorthin huschend und überallhin, wie ein Strohhalm im Sturm, und es gab kein Halten, solange die Musik spielte. Keine Messe, keine Hochzeit, kein Fest im Umkreis der sieben Kirchspiele war der Rede wert ohne den blinden Maurice Connor mit seinem Dudelsack. Seine Mutter, die arme alte Frau, pflegte ihn von einem Ort zum anderen zu begleiten, und glücklich war er zu preisen, dass er bei seinem Leiden eine Frau wie sie an seiner Seite hatte. Durch Iveragh, wo man stolz darauf ist, weil Daniel O'Conell, der Befreier, aus dieser Gegend stammt, kam Maurice Connor mit seiner Mutter. Vor allen anderen Orten zeichnet sich Iveragh durch seine stürmischen Küsten und steilen Gebirge aus. Es ist so recht der Fleck in Irland, um sich zu ertränken oder auf trockenem Land den Hals zu brechen. Aber davon abgesehen ist Ballingskellig-Bay ein hübsches Fleckchen Erde, wie geschaffen zur Zerstreuung, und hinunter zum Wasser hin erstreckt sich ein sauberes, weiches Stück Strand. Hierhin hatte Maurice' Musik eine große Versammlung junger Männer und hübscher Frauen gelockt, denn es geschah nicht alle Tage, dass man am Strand von Trasfraska die Klänge eines Dudelsackes vernahm. Der Tanz sollte beginnen, und jemand rief aus: »Tapfer voran, Musik! Möge an deinen zehn Fingern nie eine Blase sein!« Da hielt Maurice plötzlich inne. »Mehr Mumm in deinen Ellbogen, Maurice, und einen guten Wind in deine Lungen«, rief Paddy Dorman, derTanzmeister, der da war und auf Ordnung hielt, »wäre eine Schande, wenn die Pfeife trocken würde nach einer solchen Musik. Die aus Iveragh werden es sich schon einen anständigen Tropfen kosten lassen. Was willst du haben, Dudelsackpfeifer?« »Ein Glas Whiskey, Mister Dorman, und Ihr sollt leben, wenn der Totengräber schon ins Grab gesunken ist«, sagte Maurice zu ihm. »Ich habe kein Glas«, sagte Paddy, »nur die nackte Flasche.« »Daran soll es nicht scheitern«, antwortete Maurice, »mein Mund fasst schon einen Tropfen. Ich habe es oft genug probiert.« Also gab Paddy Dorman ihm die Flasche und stellte voller Missmut fest, dass Maurice recht ordentlich trank. »Das ist ein guter Whiskey, Mister Dorman«, sagte Maurice, »der würde noch helfen, wenn einem jemand alle Zähne aus dem Kopf schlüge. Das Bild des Mannes, der ihn gebrannt hat, sollte aufs Etikett.« »Beim heiligen Frost«, sagte Paddy, »jetzt ist aber wirklich nur noch kalter Trost in der Flasche, und was die Qualität dieses Tropfens angeht, so müssen wir auf dein Wort vertrauen, denn selbst haben wir es ja nicht probieren können. Du hast uns nichts übriggelassen.« Von den vielen Schnäpsen, die ihm bei den Tanzfesten gegeben wurden, hatte Maurice Connor einen guten Schluck am Leib, und er konnte schon einiges vertragen. Aber Paddys ganze Flasche war ihm doch zuviel, und plötzlich spielte er die Zaubermelodie. Von dem Tanzen, das sich da erhob, kann man mit Worten keinen Begriff geben. Maurice selbst konnte sich nicht gerade halten. Er schwankte mal auf das eine Bein, mal auf das andere. Er rollte wie ein Schiff auf hoher See und versuchte dennoch, nicht aus dem Takt zu kommen. Da war auch seine Mutter, und ihre alten Knochen regten sich so leicht wie bei dem jüngsten Mädchen in der Runde. Aber das war noch alles gar nichts gegen das, was unten am Strand vor sich ging. Jedes Fleckchen war von hopsenden und zuckenden Fischen bedeckt, und jeden Augenblick sprangen neue aus dem Wasser, angelockt von der wundersamen Melodie. Hummer von monströser Größe drehten sich auf einer Schere um die eigene Achse mit der Eleganz eines Tanzmeisters, und die andere Schere spreizten sie ab, als sei es eine Gliedmaße, die nie zu ihnen gehört hätte. Es war schon ein erstaunliches Bild. Niemals zuvor hatte man ein solches Trara auf dieser Welt gesehen. Es war, als ob Himmel und Erde sich vereinigt hätten, und das alles nur wegen Maurice Connors wundersamer Melodie. Auf dem Höhepunkt der turbulenten Ereignisse sah man unter einem besonderen Schwarm von Fischen eine wunderschöne junge Dame tanzen. So schön war sie wie die Morgenröte. Sie trug den Hut mit einem verwegenen Kniff, und unter der Krempe fiel ihr langes grünes Haar herab, das genau die Farbe des Meeres hatte. Ihre Zähne waren eine Reihe Perlen. Ihre Lippen sahen aus wie rote Korallen, und sie trug ein Kleid so weiß wie der Schaum der Wellen und mit Tupfen von purpurnem und rotem Seegras darauf. Nie hat man je über und unter Wasser eine Dame zu Gesicht bekommen, die so gut gekleidet war. Sie tanzte schließlich zu Maurice hin, der seine Beine nur so in die Luft warf, und mit einer Stimme süßer als Honig sagte sie: Ich bin eine Dame von Ehre und wohne unter der See. Komm mit mir Maurice Connor und heirate eine Fee. Auf silbernen und goldenen Tellern wird dir dort unten serviert. Hast du erst mich zum Weib genommen, wirst du als König hofiert. Der Whiskey tat immer noch seine Wirkung in Maurice' Schädel, und voller Inbrunst sang er seine Antwort. Nicht jede Dame macht einem blinden Pfeifer ein solches Angebot, und deswegen musste er ihr schon Gleiches mit Gleichem vergelten: Gern aß ich von goldenen Tellern, war' gern König unter dem Meer, in Glanz und Glorie zu leben, fiele mir gar nicht schwer. Auch mit Eures Vaters Tochter käme ich wohl zurecht. Doch salziges Wasser zu trinken, das erachte ich für schlecht. Die Dame schaute erstaunt drein und schüttelte ihren Kopf, wie ein großer Gelehrter. »Nun, Maurice«, sagte sie, »wenn du kein Dichter bist, weiß ich auch nicht, wo man noch wahre Poesie findet!« So plauderten sie weiter miteinander und tauschten Komplimente aus, und ihre Füße gingen von der Musik so rasch, wie ihre Zungen. Und alle Fische tanzten auch. Maurice hörte das Getrappel und wagte es einfach nicht aufzuhören, weil er genau wusste, dass es den Fischen missfallen werde. Und was würden so viele von ihnen sich nicht einfallen lassen, wenn man sie erzürnte. Nun, die Dame mit den grünen Haaren verlockte Maurice weiter mit süßen Redensarten, bis er schließlich einwilligte, sie zu heiraten und König über die Fische zu werden, über die großen und über die kleinen. Dazu war Maurice wie geschaffen, denn sie hatten sich schon immer einen König gewünscht, der ihnen zum Tanz aufspielen konnte. Und gewiss würde er auch mit jedem Fisch, der ihn dazu aufforderte, einen ordentlichen Schluck trinken, vorausgesetzt, es wurde da nicht nur Salzwasser ausgeschenkt. Als seine Mutter sah, wie er mit der grünhaarigen Dame zum Wasser hinwalzte, rief sie ihm zu, er solle auf der Stelle zurückkommen. »Was soll das«, meinte sie, »bin ich nicht schon Witwe genug? Muss er mir das antun und dieses schuppige Wesen heiraten? Und wenn er mich nun zur Großmutter macht! Was weiß ich denn, ob es nicht mein eigener Enkel ist, wenn ich mir ein Stück Butt oder Kabeljau koche und braune Butter darüber gieße? 0 Maurice, Maurice, wenn in dir auch nur noch ein Funken Liebe ist, so kehre um und komme zurück zu deiner Mutter, und benimm dich wie ein ordentlicher Christenmensch.« Die arme Frau begann zu weinen und schluchzte so herzzerreißend, dass es jedem gut getan hätte, es zu hören. Maurice aber tanzte immer noch am Wasser herum. Er blies und tanzte, als sei nichts gewesen. Und eine große donnernde Welle kam heran und drohte ihn zu verschlingen. Aber da er sie nicht sah, konnte er sie auch nicht fürchten. Doch seine Mutter sah sie deutlich genug durch die großen Tränen hindurch, die ihr über die Wangen kullerten, und wenn das Herz ihr auch fast barst, so führ sie doch fort zu tanzen, als ging es um ihr Leben. »Höre, Mutter«, rief er, »ich werde gewiss König über die Fische, und als Zeichen für mein Glück und Wohlergehen werde ich dir alle zwölf Monate auf diesen Tag ein Stück verkohltes Holz nach Trasfraska schicken.« Maurice brachte kein Wort mehr heraus, denn nun kam die Welle und fiel über ihn, wie ein Mantel, an dem eine große Kapuze ist, die jemandem übergeworfen wird. Und die Woge brach sich zweimal, über ihm und der grünen Dame, und führ dann donnernd auf den Sand mit einem Getöse, das man bis Cap Clear hörte. Auf den Tag nach zwölf Monaten trieb ein Stück verkohltes Holz an Land bei Trasfraska. Es war seltsam, wenn man sich vorstellte, dass es Maurice vom Meeresboden heraufgeschickt hatte. Aber seine Mutter lebte nicht mehr. Aus Kummer über den Verlust ihres Sohnes und aus Furcht bei der Vorstellung, sie könne ihren eigenen Enkel verspeisen, war sie drei Wochen nach dem Tanz gestorben und von ihrer Familie zu Grabe getragen worden. Aber jedes Jahr zur gleichen Zeit trieb ein verkohltes Stückchen Holz an die Küste. Plötzlich fand man einmal keines mehr, aber keiner wusste den Grund dafür zu sagen. Die Fischer vor der Küste von Ballingskellig aber hören in stillen Nächten eine Musik, die aus dem Wasser dringt. Und manche, die besonders gute Ohren haben, können ganz deutlich die Stimme von Maurice vernehmen. Er bläst auf seinem Dudelsack und singt dazu: Schöne Küste mit deinem Strand, kristallklares Wasser, glitzernder Sand. Ach, hätt' ich doch niemals vergessen, was ich an diesem Gestade besessen. Manche Leute fragen, wie er denn singen und gleichzeitig den Dudelsack spielen kann? Ihnen antworten die Fischer: »Mein lieber Mann, unter dem Wasser, wenn man erst einmal ertrunken ist, da sind noch ganz andere Dinge möglich, von denen sich unsereiner nichts träumen lässt.«
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